Buchtipp
- samywiltschek
- 8. Juli
- 3 Min. Lesezeit

Sebastian Haffner: "Abschied"
Hanser Verlag € 24,00
Mit 24 Jahren verfasste Sebastian Haffner, der damals noch Raimund Pretzel hieß, diesen schmalen Roman über seinen zweiwöchigen Aufenthalt in Paris innerhalb weniger Wochen.
Raimund (so auch der Name der Hauptperson) lebt in Berlin und arbeitet dort als Jurist, hatte dort eine Liebesbeziehung zu Teddy, die es von Berlin nach Paris an die Sorbonne zog. Zwei Wochen hat sich der junge Mann Urlaub genommen, um diese Liebe nochmals aufzufrischen. Er mietet sich in das gleiche Hotel wie Teddy ein, taucht ein in das Bohemeleben und die Tage und Nächte vergehen wie im Flug. Geld hat niemand und doch findet sich immer jemand, der zum Essen und Trinken einlädt. Teddy wird von diversen jungen Männern umschwirrt, alle extrovertiert und besonders in ihrem Lebensstil.
Der Autor beschreibt die letzten beiden Tage Raimunds in Paris. Diese Zeit möchte er gerne mit Teddy alleine verbringen und sie möchte ihm unbedingt die wichtigsten Sehenswürdigkeiten zeigen. Der Eiffelturm steht u.a. auf dem Programm und ein paar Lieblingskunstwerke im Louvre. Die Zeit verrinnt, der Weg zum Bahnhof wückt immer näher. Diese Stunden dehnen sich und sind doch zu kurz.
Diesen Schwindel der Gefühle packt Haffner in einen atemlosen Stil, der einem kaum Zeit zum Atmen lässt. Man möchte den beiden zurufen: "Jetzt macht halt mal", wenn sie ihre kostbare Zeit mit belanglosen Diskussionen füllen.
90 Jahre nach der Niederschrift wurde das Manuskript zur Veröffentlichung freigegeben. "Na endlich", möchte man den Erben zurufen und dankbar können wir in dieser verlorenen, wilden Zeit schwelgen, wohlwissend, dass die Jahre danach zu den schlimmsten der Weltgeschichte werden.
Gefunden auf der Hanser Homepage:
5 Fragen an ... den Lektor von «Abschied», Florian Kessler
Wie würden Sie das Lebensgefühl von »Abschied« beschreiben?
Überschwänglich. Weltläufig. Frei. Oder besser gesagt: Noch überschwänglich, noch weltläufig, noch frei – »Abschied« ist derart merklich 1932 geschrieben und damit tragischerweise im Abschied begriffen von alldem.
»Haffner hat einen grandiosen Roman neunzig Jahre lang vor uns versteckt«, schreibt der Publizist Uwe Wittstock. Was ist die Geschichte dieses Romans?
Sebastian Haffner ist neben vielem anderem berühmt dafür, sich im Nationalsozialismus nicht korrumpiert zu haben. Er beendete 1933 seine begonnene Jura-Karriere und erwog schon bald den Weggang, emigrierte schließlich 1938 mit seiner Frau nach London. Vor 1933 hatte er noch große literarische Ambitionen und schrieb unter anderem »Abschied«. Die Zeitläufte wirbelten alles durcheinander, der Roman tauchte erst nach Sebastian Haffners Tod 1999 auf, als sein Sohn Oliver Pretzel ihn in Haffners Schreibtisch neben dem Manuskript von Haffners berühmter »Geschichte eines Deutschen« fand.
Wieso sind jetzt noch einmal fünfundzwanzig Jahre vergangen, bis »Abschied« erscheint?
»Wir hatten in der Familie unterschiedliche Ansichten zur Veröffentlichung des Manuskripts«, sagte sein Sohn dazu in einem Gespräch mit dem Republik Magazin – was sich gut nachvollziehen lässt, da Sebastian Haffner als Zeitdiagnostiker und Historiker verehrt wurde, und nicht als Romancier. Doch diese Haltung änderte sich. Schließlich haben die Erben – David Brandt, der Sohn Sarah Haffners, und der heute sechsundachtzigjährige Oliver Pretzel – gemeinsam sorgfältig die Publikation vorbereitet, Oliver Pretzel selbst erstellte dabei die erste Abschrift des handschriftlichen Manuskripts seines Vaters.
»Abschied« ist der Roman einer großen Liebe. Raimund verzehrt sich nach Teddy, und wird doch zurückreisen in seine bürgerliche Existenz in Deutschland …
Der Roman handelt neben vielem anderem von unterschiedlichen Lebenskonzepten, davon, wie überhaupt man frei und mutig leben kann – und der Erzähler schneidet da auf das munterste nicht gerade gut ab. In seinem Nachwort schildert Volker Weidermann, inwieweit die Handlung auf tatsächlichen Erfahrungen Sebastian Haffners basiert: Er war wirklich vor 1933 unsterblich verliebt in eine Frau, die aus dem dumpfen, gespaltenen, antisemitischen Deutschland dieser Jahre nach Paris fortging.
Was zeichnet den Erzähler Sebastian Haffner für Sie besonders aus?
Satz für Satz seine ungeheure Beobachtungsgabe, sein riesiger Witz. Wäre das 20. Jahrhundert anders verlaufen, was wäre Sebastian Haffner für ein Romanautor gewesen!
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